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Politische Partizipation in Deutschland

Trends: Keine generelle Politikverdrossenheit in Deutschland - Wahlverhalten hat sich geändert - Wahlverweigerung oder Protestwahl sind bewusste Signale an die Politik

(Gütersloh, 6. Juni 2004) Trotz der sich abzeichnenden geringen Beteiligung bei der bevorste­henden Europawahl kann von einer generellen Politikverdrossenheit in Deutschland nicht die Rede sein. Zu diesem Ergebnis kommt die neue Untersuchung der Bertelsmann Stiftung "Po­litische Partizipation in Deutschland". Die repräsentative Studie, durchgeführt von der For­schungsgruppe Wahlen unter 1.241 wahlberechtigten Deutschen, belegt, dass aktuell mehr Bundesbürger an Politik interessiert sind als während der gesamten 90er Jahre.
Dem Misstrauen gegenüber Parteien und Politikern stehen bei 77 Prozent der Deutschen ein generelles Vertrauen und eine hohe Akzeptanz der Verfassungsordnung und ihren Institutio­nen gegenüber. Auch die Einschätzung der persönlichen Möglichkeiten, auf die Politik Ein­fluss zu nehmen, hat sich positiv entwickelt. Glaubten vor zehn Jahren nur 14 Prozent der Deut­schen, individuell politisch Einfluss nehmen zu können, so schreiben sich heute 36 Prozent diese Möglichkeit zu.
Neben den klassischen Möglichkeiten politischer Teilhabe erhalten partielles Engagement in konkreten Projekten und unkonventionelle Beteiligungsformen wie Unterschriftensammlun­gen, Kundgebungen oder Bürgerinitiativen regen Zuspruch. "Die Ergebnisse unserer Studie zur politischen Partizipation entziehen dem Pessimismus und der 'Lust am Schlechtreden', die Johannes Rau in seiner letzten Berliner Rede als Gefahr für unser Land kritisiert hat, eini­ges an Grundlagen", sagt Professor Dr. Heribert Meffert, Vorsitzender des Präsidiums der Bertelsmann Stiftung. Vielmehr zeige die Studie Handlungsmöglichkeiten auf und relativiere den schlagwortartig verwendeten Begriff der Politikverdrossenheit. Dieser werde allzu häufig als Pauschalerklärung herangezogen, sei es für Nachwuchsprobleme der Parteien oder für niedrige beziehungsweise schwankende Wahlbeteiligung.
Neben der Teilnahme an Wahlen wird der Studie zufolge auch Wahlenthaltung oder ein Wechsel der Parteipräferenz von immer mehr Menschen als gleichberechtigte Handlungsop­tion verstanden, ein gezieltes Signal an die Politik auszusenden. Dies sei als Ausdruck gestiege­ner Flexibilität und emanzipierten Politikbewusstseins zu werten, in dem Kritik oder Unzu­friedenheit nicht automatisch Verdruss und Abkehr bedeuteten. Eine Protestwahl können sich 45 Prozent der Befragten vorstellen, 35 Prozent haben diese zur politischen Einflussnahme bereits genutzt. 36 Prozent ziehen darüber hinaus eine protestmotivierte Wahlenthaltung in Betracht. "Es ist an der Politik, diese Signale aufzunehmen", sagt Heribert Meffert. "Sie kann verlorenes Terrain neu gewinnen, indem sie mit innovativen Methoden auf die Bürger zu­geht."
Großes Potenzial liegt der Studie zufolge bei den Bürgerinnen und Bürgern, die sich in einem Verein oder Verband ehrenamtlich engagieren oder außerhalb der klassischen Vereinsstruktu­ren freiwillig aktiv sind. Dies sind zurzeit 35 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung. Diese Gruppe zeigt nicht nur mehr Einsatz bei unkonventionellen politischen Beteiligungs­formen als Nicht-Aktive, sondern ist auch bei Wahlen stärker präsent. Soziales Engagement, wenn auch zunächst unpolitisch, bildet also einen förderlichen Kontext für politisches Enga­gement. "Das müsste die Parteien aufhorchen lassen", sagt Meffert "denn hier liegt unausge­schöpftes Handlungspotenzial, zum Beispiel für die Nachwuchsförderung der Parteien."

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